Ein trauriger Blick auf unseren Sohn und dann die Aussage mit leiderfülltem Blick auf ihn: „So ein schlimmes Schicksal!“
Das war die Reaktion unserer Gastgeberin. So begann einer unserer Urlaube in den Bergen. Später im Auto fragte ich meinen Mann, ob er das “kleine Schicksal” schon angeschnallt hätte.
Reaktionen und Kommentare aus dem Umfeld
Das Leben mit einem behinderten Kind ist anders. Gar keine Frage, aber nicht nur damit muss man lernen zu leben.
Man muss leider auch damit umgehen, wie andere Menschen auf das eigene Kind reagieren oder besser gesagt darauf, dass das Kind behindert ist.
Bei uns waren und sind die Reaktionen auf, und der Umgang mit der Behinderung unseres Kindes sehr vielfältig:
8 Beispiele, wie Menschen auf Behinderung reagieren:
– Mitleid: “was für ein schlimmes Schicksal”
– Kleinreden: “…der XY meiner Tante war als Kind auch nicht so schnell und jetzt hat er das Abi.”
– Leugnen: “…das ist doch gar nicht schlimm, das verwächst sich noch!”
– Totschweigen: ohne Worte
– Erklärungen suchen: “woran könnte das denn liegen, bist du sicher, dass die Hebamme / du Selbst / XY alles richtig gemacht hat?”
– Distanzieren: unser Freundeskreis hat sich definitiv verändert
– Neid: “…mein Sohn hat auch Lernschwierigkeiten, warum bekommt nur dein Kind einen Pflegegrad?!”
– Schönreden: “…zum Glück ist er bei euch, ich könnte das nicht!”
Nach 3 Jahren quasi ohne Schlaf (aufgrund eines bis dahin nicht diagnostizierten Reflux), war es nicht unbedingt hilfreich zu hören, dass kleine Kinder halt so sind.
Ich kam mir so unverstanden vor, ungerecht behandelt und war nur wütend.
Wie geht man damit um?
Manchmal merken die Personen gar nicht, wie sehr sie Grenzen überschreiten mit ihrem Urteil.
Inzwischen versuche ich daran zu denken, dass jeder sich eine möglichst bequeme Wahrheit konstruiert.
Ich versuche zu berücksichtigen, dass es im Umgang mit Behinderung große Unsicherheiten gibt.
Ja, dieser Umgang mit der Behinderung ist anfangs wie Trauerarbeit.
Jeder, der Kontakt zur Familie hat, muss sich verabschieden von dem gesunden Kind, dass man erwartet hat. Und Trauer besteht aus Wut, Aktionismus, Leugnen und Resignation.
Das kann helfen zu verstehen.
Und dann gibt es Tage, an denen das nicht geht…
Leider können wir das nicht. Weggehen, Wegsehen unser Motto heißt Weitermachen.
Uns hat keiner gefragt.
Wir leben die schwierigen und die wunderbaren Gefühle ungefiltert, echt und immer direkt unter unserer Haut jeden Tag.
Und deshalb nehme ich es mir heraus, die Zuschauer auch mal nicht zu verstehen.
Denn:
Unsere Welt steht Kopf!
Wenn ein Kind zur Welt kommt, sagen viele Eltern:
unser Leben hat sich verändert.
Unseres hat unsere Welt auf den Kopf gestellt.
Wie in einer Schneekugel wurde alles aufgewirbelt und blieb dann stehen.
Auf dem Kopf.
Auf dem Kopf stehend geht vieles viel schwerer.
Alles braucht mehr Zeit, geht langsamer.
Manches tut weh,
manches geht gar nicht,
und manchmal hängt man ganz schön in der Luft
(klar, wenn man aufm Kopf steht) und man weiß nicht mehr, wo oben und unten ist.
Die Gesetzmäßigkeiten sind andere,
das bereitet immer wieder Kopfzerbrechen.
Ein Dickkopf ist ziemlich hilfreich
aber auch ein klarer Kopf, Flexibilität und gute Laune- alles zum richtigen Zeitpunkt.
Unsere Sicht auf die Dinge hat sich gedreht.
Wir sind Meister der Unmöglichkeiten,
da wir bereits Kopf stehen, ist das Füßewackeln gar kein Thema.
Unsere Perspektive ist eine andere, auch wenn wir in derselben Welt leben!
Zum Glück gibt es 3 universelle Dinge,
immer und überall,
egal wieviel Staub aufgewirbelt wurde,
egal wie sehr die Welt Kopf steht:
das Lachen, die Liebe und ein sanfter Nasenkuss.
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