PPP2R5D. Was sich anhört wie der kleine Bruder des Star Wars Roboters R2D2 ist die Diagnose, die ich nach 3 Jahren aufwändiger Suche für meinen Sohn bekommen habe. Oft wird nach einer anfänglichen, erfolglosen Diagnostik nicht mehr weitergesucht. Aber warum sollte man das überhaupt?
Ich habe schon oft gehört:
Was ändert eine Diagnose? – Nichts!
„Eine Diagnose ändert mein Kind ja ohnehin nicht, ich liebe es so wie es ist!“
Das ist eine häufige Begründung von Angehörigen, um nicht weiter nach einer Diagnose zu suchen. Mit Blick auf einen kräftezehrenden Alltag und erfolglose Diagnose-Marathons ist das nachvollziehbar. Oft steckt dahinter auch die Angst vor Stigmatisierung: „Wir wollen keinen Stempel aufgedrückt bekommen!“
Warum habe ich trotzdem weitergesucht, immer und immer weiter, in unterschiedlichen Kliniken, mit immer anderen Methoden?
Ich wollte keinen Stempel, ich hatte es geschafft zu erkennen, dass meine Sorge Liebe ist und habe eine Bindung zu meinem Kind aufgebaut – es so wie es ist, angenommen. Trotzdem hat mich meine innere Stimme nicht in Ruhe gelassen. Neugier? Absolution? Innerer Frieden? Ja, vielleicht waren auch diese Aspekte dabei.
Rückblickend kann ich meine Erfahrungen wie folgt zusammenfassen:
3 Gründe, warum eine Diagnose wichtig ist!
Klarheit
Wenn das „Kind einen Namen hat“ können alle besser damit umgehen!
- Gut gemeinten Ratschlägen, Tipps manchmal sogar Druck von außen, kann man in Gesprächen sachlich mit Fakten begegnen
- Es hilft bei der Bewältigung der Situation, die Ursachen zu kennen und zu benennen
- Endlich steht auf dem Arztbrief etwas Greifbares – auch für den Arzt
- ggf. Wissen um die Wahrscheinlichkeit des Wiederauftretens bei weiterem Kinderwunsch (meist kann die Art der Vererbung geklärt werden und somit die Bedeutung der genetischen Veränderung für die Familienplanung auch von Geschwistern betroffener Menschen)
- Leichtere Einstufung und Beurteilung bei Anträgen (Pflegegrad, Krankenkasse, Hilfsmittel etc.) – ohne standardisierte Diagnose läuft im Gesundheitssystem oft leider nichts
- Suchen ist anstrengend, Finden befreiend. Die Fakten liegen nun auf dem Tisch
- Probleme können von Allen, die dem Kind begegnen, besser eingeordnet werden
- Von „das Kind will nicht“ zu „das Kind kann nicht“
Handlungsfähigkeit
Machtlosigkeit kann lähmen, Wissen hilft uns zu handeln!
- Umfassendes Wissen über Symptome der Erkrankung / Behinderung
- Kenntnis von möglichen, medizinisch relevanten Entwicklungsverläufen, Sekundärdiagnosen oder anderen wichtigen Informationen die Entwicklung bzw. den Krankheitsverlauf betreffend
- Prävention / Vorsorge, um sekundäre Erkrankungen zu vermeiden, zu erkennen oder abzumildern
- Profitieren vom aktuellen Stand der Forschung (z.B. angemessene Medikamente, Therapien, Hilfsmittel)
Austausch
Nicht allein zu sein, sondern einen Weg gemeinsam zu gehen gibt Kraft!
- Von Ärzten mit Kolleg*innen
- Vernetzung und Austausch mit anderen betroffen Menschen bzw. deren Familien
- Beteiligung an Forschungsumfragen
Jeden dieser Punkte kann ich mit Beispielen und Geschichten füllen. Manches davon mag emotional sein, dennoch: lässt man all dies außen vor, bleiben die medizinischen und psychischen Fakten.
Daher sage ich:
Was ändert eine Diagnose? – Alles!
Ich möchte allen Eltern Mut machen, die noch keine Diagnose haben, zu suchen. Möglicherweise gibt es heute medizinische Erkenntnisse, die vor ein paar Jahren noch nicht vorlagen. Eine genetische Untersuchung ist einfach über das Blut möglich und kann schnell Klarheit bringen. Noch heute bin ich den Genetikern dankbar, die mich ernst genommen haben und bereit dazu waren, meinen Sohn zu untersuchen. Damals war unsere Familie die erste mit einem Kind mit diesem seltenen Gendefekt in Deutschland.
Seither sind 9 Jahre vergangen. Wir haben für PPP2-Betroffene eine Selbsthilfegruppe gegründet, eine Homepage aufgebaut, regelmäßige Treffen veranstaltet, es gibt einen Infoflyer für Angehörige, Ärzte, Therapeuten und eine internationale Vernetzung mit Forschern – dieses Angebot nehmen inzwischen ca. 30 Familien mit PPP2-Kind in Deutschland wahr!
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